Wissenschaftliche Sitzung mit Bbr. Martin Wiedemann
Karlsruhe. Der Kernforderung der wissenschaftlichen Verantwortung rund um die nukleare Energieerzeugung kam Bbr. Martin Wiedemann, Doktorand am Institut für Nukleare Entsorgung (INE) des Karlsruher Institut für Technologie (KIT), selbst nach und klärte in einer transparenten Darstellung über den aktuellen Stand der Endlagerungsdebatte auf. Er unterschied dabei klar zwischen den Verantwortungsbereichen von Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft und beleuchtete, dass radioaktive Abfälle auch ohne Nutzung der Kernenergie durch Geothermie, Mess- und Medizintechnik auftreten. Seine Quintessenz: „Für hochradioaktive Abfälle, die 99% der Aktivität, dabei aber weniger als zehn Prozent des Gesamtvolumens ausmachen, ist noch kein Endlagerstandort gefunden. Die wissenschaftlichen Auswahlkriterien des momentanen Standortauswahlgesetzes sind allerdings erstmals frei von jeglichem Lobbying!“.
Radioaktivität – nicht immer eine Gefahr!
Radioaktive Strahlung sei immer mit einer Energieabgabe verbunden, die verschiedene Formen annehmen könne (alpha, beta, gamma). Die Strahlungsarten seien bei unterschiedlichen Abständen mehr oder weniger gefährlich und müssen vor der Umwelt abgeschirmt werden. Auch ohne Kontakt zu nuklearen Anlagen sei jeder Mensch strahlenexponiert, wobei vor allem natürliche Strahlung, kosmische Strahlung und medizinische Diagnostik zur allgemeinen Strahlenbelastung beitragen.
Radioaktive Abfälle
Nicht wärmeentwickelnde Abfälle (schwach- bis mittelradioaktiv Abfälle) würden über 90% des Gesamtvolumens ausmachen, allerdings nur zu einem Prozent der Gesamtaktivität des strahlenden Mülls beitragen. Für diese Abfälle, die aus Forschung, Wiederaufbereitung, Landessammelstellen und medizinischen Anwendungen stammen, sei mit dem Schacht Konrad schon ein Endlagerstandort gefunden. In den 70er und 80er Jahren wurden bereits mehrere 100.000 Tonnen schwach- und mittelradioaktive Abfälle in der ASSE II und im Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben eingelagert.
„Stellt Euch vor, ihr müsstet seinen Müll bewachen“
Bbr. Wiedemann stellte verschiedene Konzepte der Endlagerung vor (über den Transport in den Weltraum bis zur Verbringung in Vulkanen und Subduktionszonen) und präsentierte schlussendlich das derzeit international angedachte Entsorgungskonzept in tiefen geologischen Formationen. Dieses Konzept habe nicht nur zum Vorteil, dass das radiotoxische Material konzentriert und isoliert von der Biosphäre gelagert würde, sondern es wäre durch den Schutz gegen absichtlichen und unabsichtlichen Zugriff wartungsfrei und ohne Aufwand für zukünftige Generationen. Nach den derzeitigen Anforderungen müsse der Isolationszeitraum in der Größenordnung von einer Million Jahre liegen. Die hieraus resultierenden Herausforderungen verdeutlichte der Referent an einem Bild des Neandertalers: „Stellt Euch vor, ihr müsstet seinen Müll bewachen“.
Das perfekte Wirtsgestein gibt es nicht!
Potentielle Wirtsgesteine in tiefen geologischen Formationen seien Salz, Ton und Granit, die jeweils gewisse Vor- und Nachteile mit sich brächten. Neben der lokalen Verfügbarkeit – so findet man in Skandinavien v.a. Granitformationen, während in Deutschland auf Salzformationen und eventuell Tonformationen gesetzt wird – sei die Gestaltung des erforderlichen Multibarrierensystems zentraler Forschungspunkt von Wissenschaft und Wirtschaft: „Notwendig ist ein aus mehreren unabhängigen Barrieren bestehendes System, das den Schadstoffaustrag aus dem Endlager wirkungsvoll verhindert“, so die Einschätzung des kerntechnischen Experten. Der Wassereintritt in ein nukleares Endlager sei der „worst case“ und durch definierte Maßnahmen müsse sichergestellt sein, dass das Fernfeld (d.h. die Biosphäre) nicht durch Radionuklide kontaminiert würde.
Text: Bbr. Jonas Neckenich
Bilder: Bbr. Ingo Gabriel